Der palästinensische Entwurf zum Zivilgesetz normiert in Art 1 die Hierarchie der Rechtsquellen, die ein Richter bei der Lückenfüllung anzuwenden hat. Art 1 des Zivilgesetzentwurfs bestimmt, dass:
a. Das positive Recht (Verfassungsgesetze, Gesetze, Verordnungen) in allen Fällen angewendet werden soll, auf welche seine Vorschriften im Wortlaut oder sinngemäß zutreffen;
b. Sind keine geschriebenen Vorschriften anwendbar, soll der Richter laut den Prinzipien der islamischen Schari’a entscheiden;
c. Findet er dort keine Antwort, soll er entsprechend den üblichen Gewohnheiten (adat) entscheiden;
d. Findet er dort keine Antwort, so soll er die Prinzipien des Naturrechts und der Gleichheitsgrundsätze anwenden.
Art 1 des palästinensischen Zivilgesetzesentwurfs öffnet dem Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle die Tür. Es leitet die Richter an, sich auf das Gewohnheitsrecht als dritte Rechtsquelle zu berufen, wenn die Lösung eines bestimmten Falles weder durch geschriebenes Recht noch durch Anwendung der allgemeinen Grundsätze der islamischen Shari’a getroffen werden kann.
Das Gewohnheitsrecht ist noch stark in der palästinensischen Rechtskultur präsent und bleibt eine Rechtsquelle, die der Richter heranziehen kann. Natürlich unterscheidet sich die Funktion des Gewohnheitsrechts vom einen zum anderen gesetzlichen Bereich. Während es im Bereich des Zivilrechts eine wichtige Rolle spielen kann, hat dieses aus verfassungsrechtlichen Gründen im Strafrecht keine Bedeutung. Obwohl Gewohnheitsrecht in diesem Rechtsbereich keinen Platz hat, können die palästinensischen Gerichte jede erreichbare außergerichtliche Aussöhnung zwischen der Familie des Verdächtigen und jener des Opfers in Betracht ziehen und die Strafe mildern.
In vielen arabischen Ländern wird das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle an zweiter Stelle gestellt. Diese Rechtssysteme scheinen richtig vorzugehen, wenn sie das Gewohnheitsrecht über die Prinzipien des Islamischen Rechts stellen, da erstere die vorwiegende Rechtsquelle für viele Gesetze war.